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Verfasst am:
11.07.2005, 13:37 Die Pressefreiheit |
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Die Pressefreiheit
ist nicht nur irgendwo auf der Welt in Gefahr, sondern ganz massiv auch in Deutschland, wo Juristen dabei sind, die journalistische Arbeit nicht nur zu behindern, sondern möglichst zu verhindern oder aber im Sinne ihrer Klientel zu beeinflussen.
Es geht nicht nur um die BILD-Zeitung:
Es geht um die deutschen Medien.
Vom Wächteramt kann kaum noch die Rede sein angesichts juristischer Behinderungen.
Es zieht sich juristisch zu über Deutschland und der Pressefreiheit.
Hinz und Kunz marschieren zu ihren Anwälten und notfalls sogar vor Gericht, um die Medien an ihrer Berichterstattung zu hindern oder um andere Ziele zu erreichen.
Und wie so oft geht es dabei um alles andere, aber am wenigsten um die Wahrheit.
Auswirkungen dieser Rechtsprechung lernte nicht nur BILD kennen, sondern auch das SAAR- ECHO. Nur zwei Beispiele:
Da flatterten Faxe, e-Mails und postalische Schreiben einer Berliner Rechtsanwaltskanzlei in der Redaktion ein, die eine Unterlassungserklärung forderten.
Das SAAR- ECHO möge nie mehr über die Prügelattacke des
bekannten Schauspielers Heinz Hönig an einer Ex-Freundin
schreiben.
Begründet wurde das Begehren nicht inhaltlich, also dadurch, daß etwas an den Darstellungen falsch gewesen wäre, sondern einfach nur mit dem Hinweis darauf, daß ein Berliner Gericht per Einstweiliger Verfügung der BILD-Zeitung untersagt habe, den Sachverhalt darzustellen.
Dabei hatte nicht nur BILD den unappetitlichen Vorgang thematisiert, vielmehr hatte mindestens eine große Presseagentur
die Story deutschlandweit verbreitet. Das SAAR- ECHO publizierte
also ohne jeden Schnörkel, was die Agentur verbreitet hatte. Auf die SE- Nachfrage, inwieweit die Darstellung nicht der Wahrheit entsprochen habe, kam erst gar keine Antwort.
Vor einigen Wochen ein ähnlicher Fall:
Wiederum hatte BILD das berichtet, was zuvor und danach durch gewiß die meisten Medien Deutschlands ging: Thomas Gottschalk habe die Absicht, von Florida nach Deutschland heimzukehren.
Deshalb habe er sich ein historisches Schloß am Mittelrhein gekauft oder er habe zumindest diese Absicht. Nichts Besonderes also, schon gar nichts Ehrenrühriges, was da ebenfalls von den Agenturen verbreitet worden war.
Das SAAR- ECHO sollte allerdings haften und eine Unterlassungserklärung des Gottschalk- Anwaltes unterschreiben. Ausgerechnet jener Überallpräsente, der seit Jahr und Tag die Seele zur allgemeinen Einsichtnahme vor sich herträgt, verlangte Unterlassung.
Auch hier ging es keineswegs um die Frage, ob die Berichterstattung korrekt und der Wahrheit entsprechend war, es ging einfach darum, daß schon wieder ein Berliner Gericht eine Einstweilige Verfügung ausgesprochen hatte zugunsten Gottschalks.
Wozu, aus welchem Grunde - keine Silbe. Das SAAR- ECHO hat die Erklärung übrigens nicht unterschrieben. Vielleicht lernt man so den gewaltigen Herrn Gottschalk auch persönlich kennen.
Wer diese keineswegs auf nur ein Medium bezogene Entwicklung sieht und seine Aufgabe oder zumindest seine Funktion als öffentliches Medienorgan ernst nimmt, der muß sich dieser Entwicklung entgegenstellen.
Die Medien als die einzigen verbliebenen "Feinde"
der rechtsprechenden Instanzen, die in ihren Entscheidungen keinerlei Kritik unterworfen sind - außer der durch die Journalisten?
Wo es keine verfassungsrechtliche Kontrolle der Dritten Macht im Staate mehr gibt, wo mitunter lebensfremde Richter und diensteifrige Staatsanwälte nur noch ihrem Gewissen und bestenfalls dem lieben Gott verantwortlich sind, mag Pressefreiheit für diese Klientel jedenfalls anachronistisch sein.
Und genau an diesem Punkt sollte jeder demokratisch orientierte Staatsbürger hellhörig werden.
Denn es geht in dieser Sache schon lange nicht mehr um die BILD-Zeitung oder um extremistische Postillen - es geht um die Freiheit der Berichterstattung schlechthin und damit um unser gesamtes demokratisches System, in dem die Medien eine besondere Funktion haben, die auch durch gelegentlichen Mißbrauch nichts an ihrer Bedeutung verliert.
Die Medien - und nicht die Polizisten allein, und nicht die Juristen allein und schon gar nicht die Politiker allein - sind die Gewährsträger der funktionierenden Demokratie. Wer die Medien einschränkt, gefährdet nicht nur unsere Staatsform sondern auch unsere Menschenrechte !
Zur Freiheit der Berichterstattung:
Nachfolgend der Diekmann- Beitrag (geringfügig gekürzt):
"Bild"- Chef Kai Diekmann über die Folgen des Caroline- Urteils, über Werbeverbote aus Brüssel und die zunehmenden Angriffe auf den Informantenschutz...
1. Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen:
Nach dem Willen der EU-Kommission soll Tabakwerbung ab
Mitte 2005 auch in Zeitungen und Zeitschriften europaweit verboten sein. Verstöße können mit empfindlichen Geldstrafen geahndet werden. Gleichzeitig entfallen Erlöse in Millionenhöhe, die bisher zur Finanzierung journalistischer Arbeit dienten. Darüber hinaus beeinträchtigt die Antitabak- Gesetzgebung bereits jetzt massiv die journalistische Arbeit. In Frankreich verbietet das Loi Evin alle Fotos auch innerhalb der üblichen Berichterstattung, die Zigarettenmarken erkennen lassen.
Für die Presse bedeutet dies dreierlei: Erstens, daß wir über Kernelemente unserer Berichterstattung, wie zum Beispiel
Motorsport, kaum noch "im Foto" berichten können, da fast sämtliche Overalls, Helme, Autos und Motorräder Zigarettenlogos zeigen. Zweitens, daß viele Sportarten kaputtgehen werden, die ohne Werbung und Sponsoring nicht zu finanzieren sind.
Und das bedeutet, daß uns erst viele Lesestoffe und dann viele Leser verlorengehen.
Und schließlich haben solche Gesetze zur Folge, daß wir gezwungen werden, jedes Bild, das Zigarettenlogos zeigt, digital zu bearbeiten - mit anderen Worten: zu verfälschen. So werden Fotos als Träger authentischer Informationen grundsätzlich entwertet.
2. Gefährdung der journalistischen Quellen:
Eine weitere Gefahr droht durch den Angriff auf journalistische Quellen. Große Skandale können in der Regel nur aufgedeckt werden, wenn ein Insider Informationen liefert - wie Sherron Watkins beim Bilanzskandal um Enron.
Solche Informanten sprechen aber nur, wenn ihre Anonymität gewährleistet ist. Genau dies aber ist immer seltener gesichert:
Pulitzer-Preisträgerin Judith Miller von der "New York Times" wurde zu 18 Monaten Beugehaft verurteilt, weil sie sich weigerte, den Informanten in einer CIA- Affäre preiszugeben. Der belgische Gerichtshof ließ den "Stern"- Reporter Hans-Martin Tillack,
der schwere Mißstände in der EU-Verwaltung aufgedeckt hatte, verhaften und seinen Computer beschlagnahmen, um an seine Informanten zu kommen.
Das deutsche Verfassungsgericht hat entschieden, daß Ermittlungsbehörden in bestimmten Fällen sämtliche Telefonverbindungen von Journalisten auswerten können, um Hinweise auf Straftäter zu erhalten. Damit wird das gesamte Informantennetz eines Journalisten den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt.
Als "Bild" vor drei Jahren enthüllte, daß deutsche Politiker dienstliche Miles & More-Programme für Privatflüge nutzten, schaltete der SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering die Staatsanwaltschaft
nicht zuletzt deshalb ein, um unsere Quelle ausfindig zu machen.
Was das für die Zukunft bedeutet, ist klar. Informanten werden sich immer seltener trauen, Kontakt aufzunehmen. Und damit wird es immer schwieriger, Skandale aufzudecken.
3. Gefährdung durch rechtsmißbräuchliche Nutzung des Persönlichkeitsrechts:
Die dritte Gefahr, die der freien Presse droht, entsteht aus dem Konflikt zwischen Berichterstattung und Persönlichkeitsrecht. In Europa, aber auch in den USA wird dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen immer mehr Gewicht beigemessen - zu Lasten der Berichterstattung.
Die grundlegende Entscheidung dieser Fehlentwicklung ist das sogenannte "Caroline- Urteil" des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Juni 2004. Hiernach dürfen Prominente nur noch dann im Bild gezeigt werden, wenn sie in "offizieller" Funktion unterwegs sind: Der Politiker im Parlament; der Schauspieler bei der Premiere in Cannes; der Popstar auf der Konzertbühne.
Alles andere soll der Berichterstattung im Foto entzogen sein. Ob einer trinkt, seine Frau schlägt, sie betrügt, ob er Wasser predigt und Wein säuft, ob also sein privates Verhalten seinen öffentlichen Verlautbarungen entspricht - all dies läßt sich fotografisch kaum noch dokumentieren.
Dieser überzogene Schutz gilt grundsätzlich uneingeschränkt, nur bei "Politikern" macht der EuGH Ausnahmen. Aber auch das wirft tausend Fragen auf: Ab wann ist jemand Politiker, und wann endet diese Funktion? Ist Friedrich Merz noch "Politiker", und ist es Oskar Lafontaine mit seiner PDS-Liebäugelei schon wieder? Was gilt, wenn Politiker wichtige Treffen in die Privatsphäre ihrer Häuser verlegen, wie Angela Merkel und Guido Westerwelle ihre Gespräche über die Wahl von Bundespräsident Köhler?
Sind Gewerkschafter Politiker und auch ihre Gegner auf der Arbeitgeberseite? Vielleicht auch Kirchenleute? Oder die Leiter von Greenpeace oder Rotes Kreuz?
Fragen über Fragen. Und jeden Tag erhalten wir Post von Anwälten, die unter Hinweis auf das "Caroline- Urteil" unsere Berichterstattung im Interesse ihrer Mandanten zu steuern versuchen.
Als ein deutscher Politiker sein neues Haus stolz in einer Zeitschrift präsentierte, fragten wir nach, ob er für den Erwerb des Hauses, der weit außerhalb seines Gehaltsrahmens stand, öffentliche Mittel erhalten habe. Schon am nächsten Tag kam ein Schreiben seines Anwalts, daß wir die Fotos nicht nachdrucken dürften, da es sich um eine Privatangelegenheit handele! Noch einmal: Fotos, die aus eigenem Antrieb bereits an ein Magazin gegeben und veröffentlicht wurden, werden plötzlich zur "Privatsache" erklärt! Als der "Spiegel" ein Foto des wegen Bestechlichkeit inhaftierten Ex-Staatssekretärs Holger Pfahls bringen wollte, kam ebenfalls eine Abmahnung: Der Gefängnisaufenthalt, so die absurde Begründung, sei Privatsache; für die Abbildung wolle man daher 5000 Euro Schadensersatz.
Ein in Deutschland populärer TV-Star wurde im letzten Herbst auf
dem Münchner Oktoberfest wegen Kokainbesitzes verhaftet. Obwohl er Wiederholungstäter ist, untersagte uns ein Gericht unter Verweis auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts, seinen Namen zu nennen oder ihn im Foto zu zeigen. Nicht einmal über die beginnende Hauptverhandlung dürfen wir in irgendeiner Form berichten, die auch nur Rückschlüsse auf die Identität des Angeklagten zuläßt. Zur Erinnerung: Es handelt sich um ein öffentliches (!) Verfahren gegen einen bekannten Star und Wiederholungstäter, über das wir nicht berichten dürfen. So wird Berichterstattung schon vorab durch Gerichte zensiert.
Auch bei anderen Kriminellen wird das Recht zur Berichterstattung
per Foto immer mehr eingeschränkt. Die Aufnahmen von der kürzlich erfolgten Verhaftung des türkischen "Paten von Berlin", der Millionen mit Drogenhandel und Prostitution machte, während seine Familie Sozialhilfe bezog, dürfen wir künftig nicht mehr drucken - das Persönlichkeitsrecht des Täters wiege schwerer als das Recht auf Berichterstattung. Andere Gerichte haben nicht nur untersagt, Fotos von verurteilten Mördern zu veröffentlichen, sondern sogar das Fotografieren selbst verboten.
Von diesen Fällen gibt es Hunderte - auch deshalb, weil manche Anwaltskanzleien das Medienrecht als lukratives Geschäftsfeld entdeckt haben. Mit ihrer Hilfe wird der angebliche Schutz des Persönlichkeitsrechts zum Mittel, unliebsamen Journalismus zu behindern. Journalisten sollen nur noch dabei sein, wenn's im Fahrstuhl des Lebens nach oben geht; sobald er aber nach unten fährt, wird Journalisten die Tür gewiesen.
Diese Rechtsprechung verwandelt Journalismus in Hofberichterstattung.
Denn wer dem Risiko kostspieliger Prozesse und Schadensersatzzahlungen aus dem Weg gehen möchte, muß jedes Foto vorab genehmigen lassen, das den Betroffenen nicht eindeutig
in "öffentlicher Funktion" zeigt.
Aber welche Fälle sind schon so eindeutig? Immer höhere Schmerzensgelder machen das Prozeßrisiko für die Medien zunehmend unkalkulierbar. Zwar gehen die großen Medien in grundlegenden Fragen noch durch alle Instanzen. Aber viele kleinere Zeitungen werden sich dreimal überlegen, ob sie solche Risiken auf sich nehmen wollen.
4. Gefährdung durch Kriminalisierung journalistischer Arbeit:
Schließlich drohen - zumindest in Deutschland - auch ganz direkte Verbote journalistischer Arbeit durch neue Strafgesetze. Nach dem aberwitzigen § 201 a StGB, der verdeckte Ermittlungen kriminalisiert, wird bald auch die hartnäckige Recherche in die Nähe zum strafbaren "Stalking" gerückt. Versuche, im geplanten Gesetz eine Klarstellung zugunsten von Journalisten unterzubringen, wurden von der Politik bewußt ignoriert.
Aber diese Reaktion ist nichts Neues.
Auf Seiten der Politik herrscht für die Belange journalistischer Berichterstattung bestenfalls Desinteresse. Daß die Arbeit der Presse auch unabhängig von der eigenen Person wichtig sein könnte, ist vielen Politikern kaum noch zu vermitteln.
Immer neue Einschränkungen werden erdacht, Bedenken von Fachleuten kleingeredet. Als nach dem Caroline- Urteil des Europäischen Gerichtshofes die Presse vor den drohenden Gefahren warnte, mußten sich Journalisten auf einer Anhörung im Bundestag belehren lassen, wie unbegründet ihre Befürchtungen seien. Nun hat die Entwicklung genau das bestätigt, wovor die Fachleute gewarnt hatten.
Ein amerikanischer Kollege meinte vor kurzem mit Blick auf die Pressionen gegenüber der Presse wie auf die skandalös rechtsfreie Situation der Gefangenen in Guantánamo, seine Regierung habe
nicht mehr das große Ganze im Auge, sondern nur den eigenen Vorteil.
Sie verstehe den Staat nicht mehr als Gemeinwesen aller, sondern
als ihr Privatunternehmen. Und wie Unternehmensanwälte suche sie nach jedem Schlupfloch, um klare und erprobte Regelungen auszuhebeln, aufzuheben, zu umgehen. Von der ursprünglichen Idee und Konzeption der Verfassungsväter bleibe kaum etwas übrig.
Das ist, soweit es die Presse betrifft, von der Situation in Deutschland nicht allzu entfernt.
Autor: KAI DIEKMANN
Quelle: http://freie-presse-ostfriesland.de/aktuell_01.htm
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