GNM Schreiben an SWR

**Gast**

Heute ging folgender Brief der GNM an den Intendanten sowie in Kopie an die Rundfunkräte des SWR:

Gesellschaft für Neue Musik
Der Präsident

SÜDWESTRUNDFUNK
Anstalt des öffentlichen Rechts
Der Intendant
Prof. Peter Voß
70150 Stuttgart

München, 9. Februar 2005

Sehr geehrter Herr Professor Voß,

unsere Gesellschaft für Neue Musik e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, (neue) Musik unter Berücksichtigung u.a. ihrer gesellschaftlichen Funktion zu fördern. Deshalb hat uns Ihr Grundsatzpapier mit dem Titel „Zukunft der SWR-Klangkörper“, das Sie den Mitgliedern des SWR-Rundfunkrates vor der Rundfunkratssitzung am 3.12.2004 vorlegten, beunruhigt.

In Ihrer oben genannten Informationsvorlage kommen Sie zu dem Schluss, dass die Klangkörper des SWR auf ein „schmaleres Fundament zu stellen“ seien, und kündigen für den Fall, dass dies nicht gelinge, „die vollständige Auflösung einzelner Klangkörper“ an.

Im Namen der Gesellschaft für Neue Musik e.V. muss ich gegen diese Rationalisierungsforderungen und Auflösungsdrohungen protestieren und der von Ihnen dafür angebotenen Begründung widersprechen:

Im ersten Teil Ihrer Vorlage an den Rundfunkrat bemühen Sie sich, die Notwendigkeit Ihrer Vorschläge darzulegen und zu begründen, dass sie mit dem Auftrag des SWR als öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalt vereinbar seien. Beides ist Ihnen nach unserer Auffassung nicht gelungen.

Sie beginnen Ihr Plädoyer für Einsparungen an und in den SWR-Klangkörpern mit dem Hinweis auf das so genannte SMS-Papier, mit dem die Ministerpräsidenten Stoiber, Milbradt und Steinbrück im Rahmen der Gebührendebatte innenpolitische Forderungen formulierten. Sie nennen dieses Papier einen „Vorstoß, der nach Auffassung namhafter Verfassungsjuristen gegen das Grundgesetz verstößt“.

Gleichwohl – und darin sehen wir einen Widerspruch – nehmen Sie es zum Anlass und Vorwand für Ihre Forderung nach Streichung von Mitteln für die Klangkörper Ihrer Anstalt. Nur wenige Zeilen nach der Passage Ihrer Vorlage, in der Sie die Verfassungsgemäßheit des Schreibens der Herren Stoiber, Milbradt und Steinbrück anzweifeln, zitieren Sie deren an die Rundfunkanstalten gerichtete Forderungen, „Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, insbesondere: Klangkörper zu reduzieren“. Sie tun dies, um mit dem lapidaren Hinweis, der Vorstoß der Ministerpräsidenten hätte unabhängig von der verfassungsrechtlichen Frage erheblichen Druck entfaltet, sich deren Rationalisierungsforderungen – vorschnell – zu eigen zu machen. Wir sind hingegen der Meinung, dass es Ihre vordringliche Aufgabe ist, dem (verfassungsrechtlich bedenklichen) Sparverlangen der Politik entgegenzutreten, anstatt es zum (willkommenen?) Anlass zu nehmen, im Hinblick auf die Klangkörper Ihrer Anstalt die Strukturfrage aufzuwerfen.

Doch es ist nicht allein der Mangel an Widerstand Ihres Hauses gegen politisch oktroyierte Sparzwänge, gegen den wir uns mit diesem Schreiben wenden. Auch die Begründung, die Sie für die von Ihnen vorgeschlagenen Einschnitte liefern, greift unseres Erachtens zu kurz. Zwar stellen Sie nicht in Abrede, dass der SWR eine kulturelle Aufgabe hat. Sie definieren diese aber zu eng, um den Betrieb eigener Klangkörper als „mäzenatische“, also freiwillige Leistung Ihrer Anstalt hinstellen zu können. Sie schreiben, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe keinen über den Programmauftrag im eigentlichen Sinne hinausreichenden kulturellen Auftrag. Das ist unrichtig. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass der klassische Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks neben seiner Rolle für die Meinungs- und politische Willensbildung, neben Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehender Information eine „kulturelle Verantwortung“ umfasse und dass unter anderem darin seine Finanzierung durch Gebühren ihre Rechtfertigung habe. Das Bundesverfassungsgericht stellt ferner klar, dass die Aufgaben des Rundfunks – darunter der kulturelle Auftrag – es notwendig mache, die „technischen, organisatorischen, personellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen“.

Für uns heißt das nichts anderes, als dass es der von Ihnen geleiteten Rundfunkanstalt neben der von Ihnen herausgehobenen Gewährleistung des programmlichen Bildungsauftrages auch und gerade obliegt, seine zu wesentlichen Bestandteilen des kulturellen Lebens unseres Landes gewordenen und an der Grundversorgung teilhabenden Einrichtungen, darunter die SWR-Klangkörper, institutionell abzusichern. Das wiederum heißt, dass Sie von Verfassungs wegen gehalten sind, für den Bestand dieser Einrichtungen einzustehen.

Vor diesem Hintergrund erscheint uns die in Ihrem Grundsatzpapier mit Blick auf die Entwicklung neuer (avantgardistischer experimenteller) Musik aufgeworfene Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Auftrag habe, selbst Musikgeschichte zu schreiben, oder nur das, was schon da sei oder neu entstehe, zu vermitteln, falsch gestellt zu sein. Die Vermittlung des Kulturguts der neuen Musik setzt deren Entstehung und Weiterentwicklung voraus. Deshalb verlangt nicht nur Ihr Grundversorgungsauftrag, sondern auch die Ihnen von Verfassungs wegen zukommende „kulturelle Verantwortung“ die Gewährleistung der Rahmenbedingung, unter denen Kultur geschaffen werden kann, unter denen (neue) Musik entstehen kann. D.h., der Betrieb und der Erhalt Ihrer Klangkörper ist nicht mäzenatische Wohltat, sondern eine von Ihrer öffentlich-rechtlichen Anstalt dem Gebührenzahler wie auch der Allgemeinheit geschuldete Pflicht.

Erlauben Sie uns bitte, Sie an diese Pflicht zu erinnern.

Mit freundlichen Grüßen
Gez. Jens Cording